Neue Arbeitswelten entstehen im Kopf
Interstuhl    09.01.2018     7004

Neuromarketing am Arbeitsplatz - Neue Arbeitswelten entstehen im Kopf

 

'Formen, Farben, Position im Raum, Freiheitsgrade in der Nutzung der Möbel - alles wirkt. Auch das, was man nicht macht. Warum also nicht dafür sorgen, dass es richtig wirkt?'. Neuromarketing am Arbeitsplatz - mit diesem Thema beschäftigt sich Jörg Kremer (Experte für Neuromarketing) im Interview mit Interstuhl. Das Ergebnis: Neue Arbeitswelten entstehen im Kopf!

 

Herr Kremer, Neuromarketing untersucht, warum wir meistens viel mehr kaufen, als auf dem Einkaufszettel stand, richtig?

Neuromarketing ist nicht bösartig manipulativ. Neuromarketing sorgt aus der Sicht des Werbenden dafür, dass man mit möglichst geringen Mitteln möglichst schnell und nachhaltig Wirkung erzielt. Aus der Sicht des Konsumenten sorgt Neuromarketing dafür, dass jeder einzelne sich erreicht, verstanden und wohl fühlt - gerne reagiert. Wir Neuromarketer schauen aus Richtung des Gehirns des Kunden Richtung Produkt und Marke. Heute wird immer noch viel zu oft aus Richtung der Marke oder des Produktes in Richtung des Kunden geschaut und seine neurophysiologische Disposition, die im lymbischen System des Gehirns verankert ist, sträflich vernachlässigt. Dabei lechzt diese nach Aufmerksamkeit.

 

Wie helfen Sie als Neuromarketer Unternehmen, die Ihre Arbeitsplätze neu gestalten möchten? Welche Tipps können Sie geben?

Wir synchronisieren die Erwartung, die ein Unternehmen an die Mitarbeiter hat, mit der archaischen Wirkung des Arbeitsplatzes. Formen, Farben, Position im Raum, Freiheitsgrade in der Nutzung der Möbel - alles wirkt. Auch das, was man nicht macht. Warum also nicht dafür sorgen, dass es richtig wirkt? Wer innovative Mitarbeiter braucht, sollte das bis ins kleinste Detail zum Ausdruck bringen. Kaum ein Impuls ist so groß, wie der Arbeitsplatz. Er wirkt jeden Tag acht Stunden lang. Böse formuliert: Man kann täglich acht Stunden gegen das einrichten, was man eigentlich erwartet. Mein wichtigster Tipp: Sich von Einrichtungsmoden lösen und dem Gehirn und seinen archaischen Vorlieben widmen.

 

Sie haben selbst schon bei großen Projekten mitgewirkt, bei denen es um die Gestaltung neuer Arbeitsumgebungen ging. Können Sie uns hier einige Details verraten?

Indem wir uns an neurophysiologischen Dispositionen ausrichten, den archaischsten Wesenseigenschaften der Menschen, haben wir für wichtige Typen, die die Unternehmen an sich binden wollten, eine extrem individuelle und neurophysiologisch wirksame Arbeitsumgebung geschaffen. Performer, Hedonisten und Bewahrer sollten in verschiedenen Unternehmensbereichen intensiv gebunden werden und deren Besonderheiten voll zur Geltung kommen. Es sind völlig unterschiedliche Einrichtungskonzepte auf derselben Hierarchieebene im selben Gebäude, auf derselben Etage, im selben Raum entstanden. Wer das heute nicht konsequent betreibt, der sagt zu seinen Mitarbeitern 'Ich will alles von Dir haben, aber was Du dafür brauchst, interessiert uns nicht'. Denn der Arbeitsplatz wirkt acht Stunden am Tag. Alles andere ist dagegen homöopathisch in der Wirkung und im Gegensatz dazu extrem teuer. Fatal beim Wettbewerb um die besten Köpfe.

 

Wenn jeder unterschiedlich auf Impulse reagiert, wie schafft man es, eine möglichst große Gruppe zu beeinflussen - sei es bei der Kaufentscheidung im Laden oder bei der Motivation am Arbeitsplatz?

Man möchte nicht möglichst viele gleich erreichen, sondern die richtigen in optimaler Weise. Dafür segmentieren wir nach neurophysiologischen Aspekten - nach der psychologischen Disposition. Als Unternehmen will man ja nicht jeden haben. Man sucht ja bestimmte Menschen, die sich für die einzelnen Aufgaben besonders eignen. Das definieren wir zusammen mit dem Arbeitgeber und reagieren dann mit der gesamten Einrichtung darauf. Die Ergebnisse sind immer wieder verblüffend. Die größten Skeptiker werden meist zu den glühendsten Anhängern.

 

Setzt man die richtigen Impulse, ist unser Gehirn relativ leicht manipulierbar. Aber wie löst man die richtigen Emotionen aus? Was mag unser Gehirn besonders gern?

Grundsätzlich ist das Gehirn ein extrem energiebewusstes Organ. Macht man es dem Hirn leicht, ist es grundsätzlich schon einmal sehr willig. Wer zum Beispiel einen Bewahrer mit falschen Impulsen umgibt, nehmen wir mal hohe Variabilität, quält sein Hirn, verunsichert ihn ständig. Das hört sich dramatisch an. Ist es auch. Der Energieverlust ist enorm und die Zugänglichkeit des Gehirns sinkt rapide. Eine Einrichtung kann auf Dauer natürlich nicht emotional wirken. Die Emotionalität der Einrichtung ebbt zügig ab. Aber sie muss die Bühne sein, die zu den liebsten Emotionen des Mitarbeiters passt. Das führt ganz schnell und lange anhaltend zu großer Identifikation und hoher Leistungsbereitschaft. Das spart auch manchen Workshop, um Mitarbeiter 'bei Laune zu halten'.

 

Arbeitet man im Homeoffice, kann man dieses frei nach individueller Vorliebe gestalten und so leicht selbst die gewünschten Impulse setzen. Das ist im Büro meist nicht der Fall, denn dort beschränkt sich die Gestaltung des Arbeitsplatzes meist auf wenige persönliche Gegenstände. Wie lassen sich die Erkenntnisse aus dem Neuromarketing in der Bürogestaltung anwenden, sodass Mitarbeiter fördernde Impulse erhalten?

Im Homeoffice arbeiten sehr viele auch nicht an einem bestimmten Platz. Auch wenn das Finanzamt in Deutschland einen eigenen Raum fordert, um ihn absetzen zu können. In der Realität suchen sich Menschen zuhause genau den Platz, der gerade zu ihrer Stimmung passt oder sie vermutlich in die richtige Stimmung versetzt. Recherchieren kann man heute auch mit einem Handy in der Badewanne. Schreiben mit dem Computer auf dem Schoß in den Untiefen eines Sofas. Denken kann man vermutlich sehr gut in der Sonne mit weitem Blick. Man kann aber auch Gesellschaft suchen, um sich zu inspirieren, sich zu erden oder mit anderen abheben zu können. Man weiß heute, dass Menschen in solchen Umgebungen freiwillig mehr arbeiten, als sie es im klassischen Büro tun würden. Ohne zu meckern.

Das gilt es auf die Bürogestaltung zu übertragen. Und dann noch auf den Typus Mitarbeiter zugeschnitten, den man faszinieren und halten möchte.

Das hört sich komplexer an, als es in der Realität ist. Ich selber kenne sehr gute Beispiele aus der Schweiz. So zum Beispiel die swisscom. Es gibt aber auch andere Geschäftszweige, von denen man für Bürogestaltung lernen kann. Zum Beispiel von aussergewöhnlicher Hotellerie. Das Michel Berger in Ostberlin beschäftigt Creativ-Direktoren, die nichts anderes machen, als den ganzen Tag überall Veränderungen vorzunehmen. Büroeinrichtung darf heute nicht mit Möbeln anfangen und mit Möbeln enden. Da gibt es noch große Geschäftsfelder, die die Industrie noch gar nicht für sich entdeckt hat.

 

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeitswelt? In welcher Art und Weise werden sich die Arbeitsplätze in Zukunft verändern?

Die Arbeitswelt muss sich ganz schnell von Einrichtungsmoden trennen, hinter denen Mitarbeiter ständig 'hinterherevolutionieren' müssen. Denn das ist unmöglich. Die Unternehmen müssen sich ganz intensiv der Archaik des Menschen zuwenden, seine neurophysiologisch definierten Besonderheiten berücksichtigen. Deshalb gibt es auch nicht eine Zukunft. Es gibt viele 'Zukünfte'. Jeder Mitarbeitertypus hat eine eigene Zukunft. Auch in diesem Bereich wird das eintreten, was überall Erfolg hat - die Hinwendung zum einzelnen Menschen. Ich sage bewusst Mensch und nicht Mitarbeiter. Denn in der Zukunft wird es kaum noch Routinearbeiten geben, die von großen Mitarbeitermassen erledigt werden. Die werden bald alle automatisiert sein. Übrig bleiben die Arbeitsplätze der 'creative class' und das sind hoch individuelle Menschen. Von Microsoft kennt man den Satz eines Vorstandes, der gesagt haben soll, er brauche circa acht der besten Köpfe der Welt. Der Rest sein Einsparungspotenzial. Brutal. Aber das ist die grobe Richtung.

 

Sie arbeiten sowohl beruflich als auch privat kreativ - wie muss Ihrer Meinung nach ein kreativer Arbeitsplatz aussehen? Oder besser gesagt: Welche Arbeitsumgebungen fördern Kreativität?

Es gibt Menschen, die bei dem Anspruch kreativ sein zu sollen, eine Gänsehaut bekommen. Und nicht vor Begeisterung. Stimuliert man diese ständig in Richtung Kreativität, machen die schnell dicht und sind irgendwann weg. Innerlich schon ganz früh, faktisch deutlich später, weil Aushalten eher zu ihren neurophysiologischen Kompetenzen zählt. Ist man sich sicher, dass man Arbeitsplätze schaffen muss, die Kreativität fördern sollen, muss man diskontinuierlich mit harten Brüchen provozieren. Also nicht einen statischen Arbeitsplatz schaffen, sondern regelmäßig provozieren. Man stelle sich das so vor, dass über das Wochenende eine ganze Etage, ein Unternehmensbereich, bestimmte Besprechungsräume, komplett umgestaltet werden. Das provoziert das kreative Hirn. Das verändert Sichtweisen und Standpunkte. Das fördert gedankliche Anarchie, die einzig wirklich Neues schaffen kann. Es gibt eben nicht den Arbeitsplatz, der Kreativität fördert, weil Kreativität genau daran verkümmert. Da müssen die Anbieter von Bürokonzepten und Büroeinrichtungen auch noch extrem umdenken.


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